Autor*in Wolfgang Menzel
Erschienen am: 19.05.2025 (CBK Online-Redaktion)
Es ist ein Jubiläum der besonderen Art. Seit 2005 gibt es in Eckernförde jedes Jahr literarische Veranstaltungen zum Dichter Wilhelm Lehmann und seinem Werk. Zu den 20. Wilhelm-Lehmann-Tagen kamen am zweiten Mai-Wochenende drei renommierte Lyriker und Lyrik-Übersetzer ins Ostseebad. Eingeladen hatten die Wilhelm-Lehmann-Gesellschaft und das Institut für Neuere deutsche Literatur und Medien der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU).
Den Festvortrag über „Dicke Stofflichkeit. Wilhelm Lehmanns Naturpoetik“ hielt am Freitagabend im vollbesetzten Eckernförder Ratssaal der Göttinger Literaturwissenschaftler Heinrich Detering. Musikalisch begleitete die Veranstaltung das Klarinetten-Duo „Dancing Clarinets“ mit Imke Heimann und Olaf Carstensen, die Einführung in den Abend gab die Vorsitzende der Wilhelm-Lehmann-Gesellschaft Beate Kennedy. In seinem Vortrag zeigte Detering auf gleichermaßen gelehrte wie unterhaltsam-anschauliche Weise, wie Wilhelm Lehmann den Riss zwischen Poesie und Naturwissenschaft, der seit dem 19. Jahrhundert unüberwindlich scheint, in seinen Essays begrifflich fasst und in seiner Dichtung zu heilen versucht.
Am Samstag ging es in einem Podiumsgespräch, und wiederum vor zahlreichem und aufmerksamem Publikum, um grundlegende Fragen der Lyrikübersetzung. Die Moderation lag bei Sonja Klimek (CAU Kiel) und Wolfgang Menzel (PH Karlsruhe). Der englische Lyriker und Übersetzer Michael Hofmann (Universität von Florida, USA, Träger des International Booker Prize 2024), der deutsche Büchnerpreisträger Jan Wagner und der auch mit Lyrikübersetzungen hervorgetretene Lyriker Heinrich Detering diskutierten miteinander und lasen aus eigenen Übersetzungen. Anhand von konkreten Beispielen belegten sie die Auffassung Wilhelm Lehmanns, wonach das Übersetzen von Gedichten aus einer Sprache in eine andere damit verglichen werden kann, eine Zikade mit der Hand einzufangen und sie so festzuhalten, dass sie darin weitersingt. Michael Hofmann ergänzte: und sich darin wohlfühlt! Eine große Herausforderung für den Übersetzer, aber nicht unmöglich. Eine gelungene Gedichtübersetzung, so das Fazit, gleiche den Verlust, dass nicht alles in die andere Sprache hinübergeführt werden kann, mit dem Gewinn aus, der darin besteht, der Zielsprache neue Ausdrucksmöglichkeiten zu erschließen. Dies wurde auf eindrucksvolle Weise zu Gehör gebracht in Übersetzungen von Gedichten so unterschiedlicher Autoren wie Walt Whitman, Gottfried Benn und Bob Dylan. Besonders beeindruckend: die Gegenüberstellung von Michael Hofmanns Gedicht „The Case for Brexit“ mit der noch nicht abgeschlossenen Übersetzung von Jan Wagner und Marcel Beyer als „work in progress“. Die gut aufgelegten Dichter und das wie bei einer musikalischen Jam-Session gedanklich und emotional mitgehende Publikum teilten die Erfahrung, dass Lyrik keine bierernste Angelegenheit sein muss, sondern auch großes Vergnügen macht.
Michael Hofmann und Jan Wagner gaben am Freitagvormittag in ausführlichen Interviews Auskunft über ihre dichterische und übersetzerische Arbeit; diese von einer Gruppe von Studierenden geführten Gespräche wurden aufgenommen und stehen demnächst in der Audiothek auf der Website der WLG zur Verfügung. Am Nachmittag leiteten die beiden Autoren im Künstlerhaus einen gut besuchten Workshop zum Übersetzen und kreativen Schreiben. Neben etwa dreißig Studierenden der CAU Kiel und einer Gasthörerin der PH Karlsruhe nahm auch ein deutscher Übersetzer des schwedischen Dichters Lars Gustafsson teil. Die gesamte Veranstaltung wurde filmisch dokumentiert; das Video wird demnächst über die Website der WLG zu sehen sein.
Auf den Lehmann-Tagen 2025 wurde das neue – und inzwischen zehnte – Heft Sichtbare Zeit – Journal der Wilhelm-Lehmann-Gesellschaft vorgestellt. Erschienen im Husum Verlag enthält es die Vorträge der jüngsten Wilhelm-Lehmann-Tage. Es dokumentiert darüber hinaus die Verleihung des Wilhelm-Lehmann-Preises 2023 an Jürgen Nendza sowie die Beiträge eines wissenschaftlichen Symposiums zum Thema „Literarische Wertungen und Preise anlässlich 100 Jahre Kleist-Preis an Wilhelm Lehmann".
Auf der ebenfalls an diesem Wochenende durchgeführten Mitgliederversammlung wurde der Vorstand der Wilhelm-Lehmann-Gesellschaft wiedergewählt: Beate Kennedy (Vorsitzende), Wolfgang Menzel (2. Vorsitzender), Dietrich Fröhler (Kassenwart), Monika Tjarks (Schriftführerin), Dirk Schmid, Antje Nottrodt und Elisabeth von Hippel (Beisitzer).
Die Lehmann-Tage werden darüber hinaus auf Instagram dokumentiert: @wilhelm_lehmann_gesellschaft
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