2014 Ann Cotten

2014 Ann Cotten

Biographie


2014 Ann Cotten

geb. 1982 in Iowa, USA, kam als Fünfjährige mit ihrer Familie nach Wien. Sie schloss ihr Germanistik-Studium 2006 mit einer Arbeit über „Die Listen der Konkreten Poesie“ ab. Cotten war Mitglied im „Forum der 13“ und trat auch als Literaturtheoretikerin in Erscheinung. Nachdem sie auf Poetry Slams hervorgetreten war und Gedichte sowie Prosa in Literaturzeitschriften und Anthologien veröffentlicht hatte, erschien 2007 ihr erster Gedichtband Fremdwörterbuchsonette. 2013 folgte Der schaudernde Fächer, beide im Suhrkamp Verlag.

„Ann Cotten ist eine der originellsten AutorInnen der deutschsprachigen Literatur. Formal und in der Mischung der Töne überaus einfallsreich, zeigt sie sich auch inhaltlich als aufmerksame Zeitgenossin, für die die Großstadt ebenso Feld ihrer Beobachtungen ist wie die Natur. Mit ihr kommt ein ebenso willkommenes wie irritierendes Moment in die literarische Szene.“

(Aus der Begründung der Jury für den Wilhelm-Lehmann-Preis 2014)

Kiesel, Metonymie

Sie steigt auf einen Findling, von dessen Spitzen aus
man über dieses Delta und weit darüber hinaus
die Blicke schweifen und die Augen gehen lassen kann.
Ihr Freund macht dann ein Foto wo sie vorm Ausblick steht.

Sie sehen sich das Foto am LCD-Schirm an.
Beim Drücken auf den Knopf rückt gestern links ins Bild,
da stand er vor dem Fluss, in den sie Steine warf,
bis ihn das Wasser ganz mit seinem Glanz umkränzte.

Doch Flüsse sind geschwind und Flüsse gehen weiter,
noch weiter als ein Lied um Ecken denken kann
und wälzen ihre Steine in Tiefen schwer und wild.
Davon ahnt sie nicht viel und wenig ihr Begleiter.
Sie sind schon mit dem Lauf der Zeit genug beschäftigt
und lenken ihre Schritte, die der Horizont begrenzt,
beständig wie die Steine, stets neuen Ufern zu.
Machen die Augen zu, wenn die Maschine knipst,
die Speicherkarte voll, man weiß ja nie, was klappt,
und sind vom Fluss der Zeit und von der Helligkeit beschwipst.

Sie spricht zu ihm und nimmt zwei Steine in die Hand.
Dort klicken sie, zu leis, unter der Stimme sie zu hören;
und niemand denkt daran, dass gleicher Weis am Grund
des Flusses Kiesel klicken, konzentriert ans Meer gewälzt,

wo sie unter Gezeiten verschwinden im Geschiebe,
bis sie die Zeit verliere, zerstiebend sie zu Sand.
(Zwei Steine unterm Meer sind einer in der Hand.)
Und leise dreht die Erde sich weiter im Getriebe
des Kosmos, er unhörbar davon sich leise schiebt
und Liebende wie Steine zu Partikelchen zerrreibt.

Metonymie, wir

Ich sprech für dich, lass gut sein.
Lass gut sein, sag ich. Sei
beruhigt, sage ich, ich formuliere,
da können, wenn ich fertig bin, wir beide rein.

Das Dichten, sagst du, macht dich schrecklich müde.
Das Ich-Sagen erschöpft mich mehr, sag ich.
Breit doch dein Wir aus, du, das meint uns beide,
und dann machen wir Picknick drauf. Wirklich,

ich bring das Wort nur schwer über die Zähne
hinaus, sie schlagen hart gegeneinander,
wenn du mich meinst, ich dich und Grinsen
allein kann in ne Harmonie uns schwemmen,
wir fragen: wollen wir? Du sagst: Ich schon.
Du auch? Während ich mich an deine Zähne lehne.

Schenk ein! Merum schlägt dich und mich
über den ganzen Nachmittag in
den Tannin, das schwere, rötlich
schwarze Kleid der, ja, Verwechselungen.

Anstoßen bis wir weder aus noch ein,
nur schwirrend wissen von den Buchstaben
zu schließen mehr, wessen Initialen
wir nun tatsächlich in die Buche graben

mit meinem Messer. Deins ist zu klein
und klappt zurück, wenn man den Winkel falsch
berechnet. Bin dabei zu ritzen «DU»,
als du dein Werk mir zeigst: du ritztest «ELVIS».

Okay, wir machen Fehler. Doch es lacht
ob unsrer Anstalten das blanke Sein.

(Aus Fremdwörterbuchsonette, 2007)

In der Folgezeit erhielt Ann Cotten u.a. den Klopstock-Preis (2015) und den Hugo-Ball-Preis (2017). Sie ist Mitglied der Berliner Akademie der Künste (seit 2017) und lebt in Wien und Berlin.