2016 Stephan Wackwitz

2016 Stephan Wackwitz

Biographie


geb. 1952 in Stuttgart. Er besuchte das Evangelisch-Theologische Seminar der Württembergischen Landeskirche in Schöntal und Urach, studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie in München und Stuttgart und promovierte bei Heinz Schlaffer über Hölderlins Elegienwerk. Nach einer Zeit als Lektor am King's College London arbeitete Stephan Wackwitz ab 1986 in verschiedenen Funktionen für das Goethe-Institut, mit Stationen in Frankfurt/M., New Delhi, Tokyo, München, Kraków, Bratislava und New York. Zuletzt leitete er das Institut in Tbilissi, Georgien. Er lebt als Schriftsteller und Publizist in Berlin.

Stephan Wackwitz erhielt den Wilhelm-Lehmann-Preis u.a. für seinen essayistischen Prosaband Die Bilder meiner Mutter (2015). Die Jury lobte das autobiographische Projekt, das in einer Reihe insgesamt bemerkenswerter essayistischer Arbeiten des Autors stehe. Es porträtiere über die Darstellung des Lebenslaufes der Mutter die Entwicklung einer ganzen Generation von Frauen in der Nachkriegszeit. In einer klaren, pathosfreien Sprache, die Dokumentation und Reflexion verbinde, beschreibe Wackwitz eindrücklich, wie diese Generation historisch und künstlerisch geprägt wurde – und selber prägend werden konnte.

Klassiker des Eigensinns

"[…] Die intensive Aufmerksamkeit für unbedeutende Naturdetails wie Schaumkrautstengel und Karrenspuren, in denen sich Wasser sammelt, wie sie in einem Gedicht von Wilhelm Lehmann festgehalten sind, die traumwandlerische Entscheidung, sich, wie Wilhelm Lehmann im Ersten Weltkrieg, als Soldat von der Truppe in die Landschaft hinein, ins Nicht-Gesellschaftliche zu entfernen – in solchen inneren Abwesenheiten öffnen sich uns Modernen die übergeschichtlichen Quellen des Seins, und nicht mehr wie noch für Goethe in den Armen der Götter.

Diese Absencen, diese höheren Zerstreutheitszustände, sind, wie Lehmann in Der Überläufer fast im Sinne eines Psychogramms beschrieben hat, eher ein Reflex als eine Entscheidung. Sie sind ein momentanes Außer-Sich-Sein und zugleich etwas Zwangsläufiges und Unwiderstehliches. Und es handelt sich dabei auch nicht um folgenlose innere Epiphanien, sondern um in letzter Konsequenz politische Akte. Haltungen und zugleich Handlungen einer durch nichts Äußeres begründbaren Freiheit. Anarchische Selbstermächtigungen, die totalitäre Apparate in Grenzsituationen in komplette Unordnung stürzen können, die aber auch zum Beispiel die innere Freiheit begründen können, ein unauffälliges, ja opportunistisches Arbeitsleben in totalitärer Zeit und zugleich ein Leben als Dichter in einer kleinen Stadt an der Ostsee fruchtbar – mit weiten Perspektiven und Wirkungen – zu bestehen."

(Stephan Wackwitz in seinem Festvortrag auf der Tagung der Wilhelm-Lehmann-Gesellschaft am 18.11.2018 in Eckernförde)