Eine Straßenumfrage in Eckernförde zeigt, dass der Schriftsteller, der 1968 verstarb, in der Stadt an der Ostsee durchaus noch bekannt ist. Ein Auszug aus seinem Roman Der Überläufer führt mitten hinein in seine Biographie, deren Wendepunkte Beate Kennedy Revue passieren lässt. Erster Weltkrieg, Desertion, Kriegsgefangenschaft, Lehrertätigkeit – ein Mensch des 20. Jahrhunderts, der auf seine Weise, nämlich schreibend, auf die Welt der Moderne reagiert.
Mehr anzeigenStephan Wackwitz schildert den geradezu surrealistischen Impuls, den ihm 1969 seine erste Begegnung mit Walter Benjamins Einbahnstraße gab: „Was ist das? Sachbuch, Philosophie, Autobiographie? Mein Gott, sowas müsste man doch machen.“ In loser Folge interviewt Beate Kennedy Preisträger des Wilhelm-Lehmann-Preises. 2016 war dies Wackwitz, der den Preis für seinen Essay Die Bilder meiner Mutter erhielt.
Von Lehmann und seinen Sonderling-Figuren bis hin zu Kants Pedanterie, von der Intuition beim Spazierengehen, vom Wandern in der Literaturgeschichte bis hin zum Autofiktionalen, aus dem Literatur erwächst, führt dieses überaus anregende Gespräch. Es bietet Einblicke in die Schreibwerkstatt eines Autors, der seine viel zu langen Entwürfe mit strenger Disziplin überarbeitet und kürzt, und der die Unklarheit kennt, die sich erst im Schreiben auflöst wie in Kleists Schrift von der „allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden“. Am Beispiel Montaignes, Nietzsches, Freuds und Churchills wird die Frage behandelt, wann Nicht-Fiktionales zu Literatur wird. Das Literarische als unverbrauchter Zugang zur Welt: „Dinge so sagen, wie man sie noch nie gesagt hat“.
Poetry Slam, Science Fiction, KI und ChatGPT – eine hochaktuelle Verknüpfung. Ann Cotten will in ihren „Vorarbeiten zu einer empirischen Ästhetik, die auch für Maschinen funktioniert“ elementare Kriterien entwickeln, um die Qualität von Gedichten zu beurteilen. Den Wilhelm-Lehmann-Preis erhielt sie 2014 für ihren Gedichtband Der schaudernde Fächer.
Beate Kennedy spricht im Interview mit der Autorin über das Landleben in Iowa, USA, über den „grummeligen“ Wiener Ton, über Berlin als produktiven Ort „zweiter Flegeljahre“, über Hawaii, die japanische Sprache und über das Gendern als Spielwiese. Aber auch das komplexe Mensch-Maschine-Verhältnis ist Thema. An Lyrik will Ann Cotten keine moralischen Anforderungen stellen, sondern eine nicht-anthropozentrische Gleichbehandlung von Menschen, Tieren, Pflanzen, Maschinen erreichen. Schwerkraft, Raum, Zeit, Verfall seien allen gemeinsam: „Wenn ich meinen Computer anthropomorphisiere, kann ich mich als verfallenden Computer sehen, ich geh in den Overload, ich fahr mich runter, ich fahr mich wieder hoch – diese gegenseitigen metaphorischen Versuche, sich gegenseitig zu verstehen, sind für mich der wichtigste Grund für Ästhetik, weil Gedichte und Sprache überhaupt sich entwickelt haben, um diesen intersubjektiven Gap [mit Technik] zu überbrücken.“
Ein Dichterleben in knapp drei Minuten – Wolfgang Menzel führt durch das Leben des Eckernförder Schriftstellers auf seinem Weg zwischen Beruf und dichterischer Berufung: Kleist-Preisträger, Romanautor, Lehrer, Repräsentant der deutschen Naturlyrik der 1950er Jahre und Vorläufer des Nature Writing. Auch das heikle Kapitel seiner Parteimitgliedschaft in der NS-Diktatur wird in dieser Kurzbiographie gestreift. Nach dem Krieg wird Lehmann rehabilitiert.
Mehr anzeigenDichter oder preußischer Offizier? Wie findet eine ehemalige Lehrerin zu Wilhelm Lehmanns Werk? Unterschiedlichsten Perspektiven auf seine Literatur soll in dieser Gesprächsreihe Raum gegeben werden. Beate Kennedy spricht in der ersten Folge mit Jutta Johannsen, langjährige Leiterin der Jungmannschule Eckernförde. Hier unterrichtete Lehmann selbst über ein Vierteljahrhundert.
Für Jutta Johannsen ist der Schriftsteller zunächst ein unbeschriebenes Blatt. Erst auf dem Umweg über die Diskussion in der Eckernförder Bürgerschaft zur Namensänderung ihrer Schule setzt sie sich mit dem Dichter auseinander: Lehmanns Name war vor allem bei seinen ehemaligen Schülern und Schülerinnen als Alternative zu dem des preußischen Offiziers Jungmann im Gespräch. Auf sein persönliches Auftreten als Lehrer und Protokollführer etlicher Lehrerkonferenzen wirft sie einen kritischen Blick: Distanz und Polarisierung scheinen kennzeichnend für seine Auffassung vom Lehrerberuf als Broterwerb gewesen zu sein. Vor diesem Hintergrund des spannungsvollen Zusammentreffens von Dichterexistenz und Lehrersein diskutiert sie mit Uwe Pörksen und Heinrich Detering die Herausgabe des Lehmann-Lesebuchs (2011) und wirkt an weiteren Publikationen mit. Die Öffnung der Wilhelm-Lehmann-Gesellschaft für die junge Autoren- und Leserschaft hält Jutta Johannsen für zukunftsweisend.
Das Gedicht „Merlin“ von 1934 beschreibt die Ruhe und das Erwachen der Natur. Wilhelm Lehmann spricht von der Faszination für die Natur, die geheimnisvolle Präsenz des Merlins und dem Ruf, sich mit der Natur zu verbinden. Merlin spielt in Lehmanns lyrischer Mythologie eine Sonderrolle. Dirk Schmid, Vorstandsmitglied der WLG, deutet die Figur so: Merlin sei keine einzelne Gestalt, kein einzelnes Ereignis oder Phänomen, sondern etwas Allgemeineres, das sich an vielen einzelnen Gestalten und Geschehnissen zeige. Er stehe für das, was Lehmann „die Schöpferlust“ nennt, das schöpferische Hervorbringen selbst. Dieses werde in Merlin zur mythischen Gestalt (Vortrag auf den Wilhelm-Lehmann-Tagen 20.11.2021, ungedruckt).
Mehr anzeigenDas Gedicht „Schnelle Oktoberdämmerung“ entstand am 2. Oktober 1928 in Dörphof und wurde am 12. März 1933 überarbeitet. Der Erstdruck in der „Neuen Rundschau“ folgt im September 1935. Lehmann beschreibt die Natur und ihre Geräusche in der Abenddämmerung und erzeugt eine beruhigende Stimmung. Im Krieg hatte das Gedicht eine besondere Wirkung auf Elisabeth Langgässer, die Lehmann 1943 schrieb: „Der tiefe und unendlich starke Trost Ihrer Verse (sei nicht ängstlich, du bist nicht allein - ) ist in all diesen schweren und dunkel verhangenen Tagen mit mir gegangen […]“.
Mehr anzeigenIm Jahr 1936 entsteht das Gedicht „Stare“. Es lädt dazu ein, die Natur und die faszinierenden Aspekte der Vogelwelt zu schätzen und die flüchtigen Augenblicke bewusst wahrzunehmen. Im Vordergrund stehen die Stare während ihrer Wanderungen im Herbst. Wilhelm Lehmann hebt die Ruhe, Schönheit und die Vergänglichkeit des Moments in diesem Gedicht hervor.
Mehr anzeigenWilhelm Lehmann thematisiert in diesem Gedicht das Gefühl der Traurigkeit. Der Gesang der Grasmücke wirkt beruhigend und wiegt das lyrische Ich in den Schlaf. Das Gedicht ist vor Kriegsbeginn entstanden, vermutlich im Sommer 1939 oder bereits davor. Die „Neue Rundschau“ druckte es im April 1940. Oskar Loerke schrieb Lehmann am 26. Juli 1939: „‘Grasmücke‘ führt am sanften ernsten Liederseil fort und gehört zum Volkstümlichsten, was Du geschrieben hast.“
Mehr anzeigenIm Gedicht „Die Signatur“, Anfang Januar 1940 entstanden, geht es um die Suche nach Zugehörigkeit und Identität in der Natur. Es beschreibt lebhafte und harmonische Naturerscheinungen von Tieren wie Hasen, Rehen oder Finken. Die Verbindung zur Natur und das Gefühl der Erfüllung, wenn man Teil der Natur ist, hebt Lehmann hier besonders hervor.
Mehr anzeigenIm Gedicht „Fahrt über den Plöner See“ beschreibt Lehmann eine Bootsfahrt durch eine traumhafte Landschaft, die kulissenhaft wirkt. Die Natur erscheint als Bühne und bietet einen erfrischenden Blick auf Laub, Schilf und See. Entstanden ist das Gedicht im August 1940 in Hornsmühlen, südlich des Plöner Sees, inmitten des zweiten Weltkrieges. Eine ruhige Atmosphäre zieht sich durch das Gedicht. Der Krieg ist nur in der Zeile „Wir fahren durch den Schreck der Zeiten“ anwesend. Deutlicher wird Lehmann in seinem Tagebuch: „Jeden Abend diese Radiomeldungen – und wir leben noch? Es ist nicht mehr zu ertragen […] Das Herz kann kaum noch.“
Mehr anzeigenWilhelm Lehmann charakterisiert im Gedicht „Früher Herbst“ (entstanden 25./26. August 1940) eine Szene im Spätsommer, in der die Natur langsam verblasst und sich auf den Herbst vorbereitet. Es wird die Frage aufgeworfen, ob trotz des Aufruhrs und der Unruhe in der Welt immer noch ein Gefühl der Empörung besteht.
Mehr anzeigenIm Jahr 1941 entsteht das Gedicht „Pappellaub“. Darin schreibt Lehmann vom Rauschen der Pappel, dem niemand Gehör schenkt. Der Sommer geht spürbar vorüber, während das Pappellaub weiterhin rauscht. Nachdem das Gedicht am 8. August 1941 in der Frankfurter Zeitung abgedruckt worden war, schrieb ihm die Lyrikerin Elisabeth Langgässer: „Etwas so unhört Einfaches und dabei höchst Kompliziertes (rein künstlerisch) haben Sie selten geschrieben (…). Cordelia [Langgässers 12-jährige Tochter] hat beschlossen, es auswendig zu lernen.“
Mehr anzeigenLaut Tagebucheintrag schrieb Wilhelm Lehmann das Gedicht „Die fliegende Stadt“ am 12. Oktober 1941. Das Bemühen Lehmanns, dieses Gedicht wie andere zuvor als Vorabdruck zu veröffentlichen, war gescheitert. Der zuständige Redakteur der Frankfurter Zeitung lehnte „Die fliegende Stadt“ als „ein bißchen zu skurril und für die Mehrzahl unserer Leser überhaupt zu schwierig“ ab. Es wird eine Stadt beschrieben, die wie ein Bild aus vergangenen Zeiten erscheint. Die Frage wird aufgeworfen, ob es sich um eine reale Stadt handelt oder ob diese der Fantasie entspringt. Das Gedicht endet damit, dass die harmonische Naturerfahrung des Ich-Erzählers aufgelöst wird.
Mehr anzeigenFür Karl-Heinz-Groth, der in Dithmarschen aufgewachsen ist, ist Plattdeutsch ein selbstverständlicher Teil seiner Identität. Groth war Lehrer, unter anderem auf Helgoland, später Schulleiter an einer Eckernförder Grundschule. Heute ist er hauptberuflich Autor, überträgt Klassiker der Literatur ins Niederdeutsche, schreibt Erzählungen, Gedichte und ist Herausgeber zahlreicher schleswig-holsteinischer Publikationen. An Lehmann bewundert Groth die Exaktheit seiner Aussagen und Sorgfalt, mit denen er seine Worte wählt. Groth gehört zu den Initiatoren zur Gründung der Lehmann-Gesellschaft und hat sich bis 2022 aktiv eingesetzt, die Wirkung und das Schaffen Lehmanns nach außen zu tragen, um ihm eine Andenken zu setzen.
Mehr anzeigenDer Pastor und Schriftsteller Knut Kammholz ist in Kappeln in Schleswig-Holstein aufgewachsen und fühlt sich seinem Heimatort eng verbunden. Er entdeckte früh seine Leidenschaft für Literatur und Theologie. Als Schüler schrieb Kammholz Aufsätze für die Schülerzeitung und entwickelte eine starke Verbindung zur Literatur, die ihm als Rückzugsort diente. In dieser Zeit kaufte er ein Reclam-Heft mit Gedichten von Wilhelm Lehmann und ein Büchlein mit Aufsätzen des Dichters, die ihm als Grundlage für seine eigenen Literaturaufsätze dienten. Kammholz kannte Lehmann persönlich und fühlte sich durch die Begegnungen mit ihm inspiriert, die Gründung der Wilhelm-Lehmann-Gesellschaft 2004 zu unterstützen, deren Vorsitzender bis 2013 war. Noch heute stellt Kammholz als Mitglied des Literarischen Trios ausgewählte, für ihn bedeutsame Werke vor.
Mehr anzeigenDer Schriftsteller und emeritierte Universitätsprofessor Uwe Pörksen hat Gedichte, Erzählungen und Romane veröffentlicht. Seine Verbindung zu Schleswig-Holstein und Eckernförde ist tief verwurzelt. Sein Großvater arbeitete als Pfarrer in Eckernförde und seine Mutter war Schülerin von Wilhelm Lehmann. Als Schüler und Student hat er selbst Kontakt zu Wilhelm Lehmann gepflegt und ihm Texte geschickt. Bei seinen Besuchen schätzte Pörksen den Dichter als angenehmen Gesprächspartner und aufmerksamen Kritiker in Bezug auf seine zugesandten Texte. Pörksens Beitrag zum 700-jährigen Stadtjubiläum gilt als Impuls für die Gründung der Wilhelm-Lehmann-Gesellschaft im Jahr 2004.
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